Shared decision making, also die gemeinsame Entscheidungsfindung von Patient und Arzt, wird derzeit wieder in vielen Artikel diskutiert. Hier ein paar besonders lesenswerte aktuelle Beiträge:

  •  Im Kontext von „too much medicine“ steht auch immer wieder das Deprescribing im Fokus, also das gezielte Absetzen von Arzneimitteln, wenn Multimedikation den Patienten belastet. Jesse Jansen und Kollegen beschreiben in einem Artikel im BMJ, wie shared decision making helfen kann, die Prioritäten des Patienten richtig zu verstehen und umzusetzen (BMJ 2016;353:i2893)
  • Ein Autorenteam um John Yudkin machen in einem Beitrag im BMJ deutlich (BMJ 2016;353:i3147), dass der Patient bei der Behandlung von Risikofaktoren (statt manifester Erkrankungen) besonders gut wissen muss, auf was er sich einlässt – deshalb sollten Leitlinien entsprechende Entscheidungshilfen enthalten – da sind sich die Autoren z.B. mit Margaret McCartney einig, über deren Artikel ich bereits berichtet hatte.
  • Victor Montori beschreibt in einem Blog-Beitrag im Vorfeld der „Evidence live“-Konferenz, welche Haltung Ärzte brauchen, damit die Kommunikation von Evidenz an die Patienten gelingen kann.

Wie sieht die Situation in Deutschland aus – was halten Ärzte vom informierten Patienten? Das Ergebnis einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung ist zum Fremdschämen:

Mehr als die Hälfte der niedergelassenen Ärzte findet informierte Patienten mindestens problematisch. 45 Prozent der Ärzte stimmen außerdem der Aussage zu, die Selbstinformation der Patienten erzeuge vielfach unangemessene Erwartungen und Ansprüche, die die Arbeit der Ärzte belaste […] Fast ein Drittel der Ärzte ist der Ansicht, dass die Selbstinformation die Patienten meist verwirre und das Vertrauen zum Arzt beeinträchtige. Fast jeder vierte Arzt rät Patienten sogar aktiv von der eigenständigen Suche nach Informationen ab […] Das wachsende Interesse von Laien an gesundheitsbezogenen Themen ist in der Ärzteschaft jedoch umstritten. Gut vier von zehn Ärzten freuen sich über das Interesse der Patienten. Knapp jeder Zehnte ärgert sich allerdings, dass der Patient sich mit seiner Frage nicht zuerst an ihn gewandt hat. Die Frage, ob es auch an ihnen selbst liegen könne, dass Patienten sich auf eigene Faust informieren und nicht direkt auf sie zukommen, stellen sich lediglich elf Prozent der Ärzte. Nur etwa zehn Prozent von ihnen fragen sich, ob der Patient sich zuvor mehr Beratung gewünscht hätte.

Gleichzeitig ist es bei den teilnehmenden Ärzten aber schlecht um ihr Wissen zu vertrauenswürdigen Quellen im Internet bestellt: Nur jeder fünfte kennt den Krebsinformationsdienst, noch weniger z.B. patienten-information.de (ÄZQ) oder gesundheitsinformation.de (IQWiG). Bei der Vertrauenswürdigkeit schneiden Wikipedia und die Webseite der Apotheken-Umschau besser ab als die unabhängigen und qualitätsgesicherten Angebote.

Mit dieser Haltung und diesem Wissen ist es kein Wunder, dass shared decision making in Deutschland noch einen langen Weg vor sich hat.

Lesetipp: Der informierte Patient – was nötig wäre und was tatsächlich passiert
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