Seit einiger Zeit treffen sich unter dem Hashtag #ganzohr einmal im Jahr Wissenschaftspodcaster*innen zum Austausch und zur Horizonterweiterung. Die #ganzohr2018 fand Ende September in Wien statt, dieses Mal in Form eines besonderen Experiments: In Kooperation mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, namlich dem Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationswissenschaften, ÖR1 als Radiosender mit diversen Wissenschaftssendungen und Vertreterinnen von Freien Radios. Wie man auf Twitter verfolgen konnte, verlief das nicht immer ganz spannungsfrei, aber größtenteils doch sehr inspirierend. Wer das nachvollziehen will, findet online das Programm und die Abstracts sowie inzwischen auch die Aufzeichnungen der Vorträge vom 1. Tag. 


Am Samstag gab es neben den Vorträgen auch Barcamps, die größtenteils spontan aus dem Kreis der Teilnehmer*innen entstanden. Ich hatte vorgeschlagen, sich explizit mit dem Thema „Zugänglichkeit und Komplexität“ auseinanderzusetzen – und hier könnt ihr die Zusammenfassung des spannenden Austauschs lesen.

Eins der wesentlichen Merkmale von Wissenschaft ist wohl die Komplexität der Themen. Und das ist auch gleichzeitig eine der wichtigsten Herausforderungen für die Wissenschaftskommunikation und damit auch die Wissenschaftspodcasts. Wie geht man jetzt am besten damit um? Details weglassen, die das Thema kompliziert machen – mit der Gefahr, zu stark zu vereinfachen?

In seiner Keynote formulierte Tim Pritlove sein Rezept: „Komplexität aufdröseln, nicht reduzieren“. Daran knüpfte ein Barcamp an, bei dem die Teilnehmer*innen ihre Erfahrungen austauschten: Wieviel Komplexität ist nötig und möglich? Wie schaffen wir Zugänglichkeit für die komplexen Themen? Und wie schaffen wir es, unsere Zuhörer*innen dabei nicht zu verlieren? Offensichtlich hatten viele der Teilnehmer*innen schon häufiger über diese Fragen nachgedacht und so konnten wir ein breites Spektrum an Erfahrungen und Tipps zusammentragen.

Komplexität: So viel wie nötig
Konsens gab es bei der Feststellung, dass eine zu starke Reduktion von Komplexität die Gefahr birgt, den wissenschaftlichen Prozess zu verschleiern. Wer wissenschaftliche Erkenntnisse aus einer Studie ohne die Limitationen der Methode präsentiert, kommt spätestens dann in die Bredouille, wenn eine andere Studie das gegenteilige Ergebnis zu Tage fördert (Stichwort „Kaffee erhöht die Sterblichkeit“ vs. „Kaffeetrinker leben länger“). Langfristig beschädigt das die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft.

Und ein Podcast ist ein ideales Medium für komplexe Inhalte: Anders als im Radio gibt es keine Zeitbeschränkung und wir können uns soviel Zeit nehmen, wie nötig ist, um ein Thema mit allen seinen Facetten aufzudröseln. Allerdings bedeutet Komplexität auch einen höheren Aufwand bei der Vorbereitung und das kann sich indirekt auf die Publikationsfrequenz des Podcasts auswirken.

Was als komplex empfunden wird, hängt natürlich auch entscheidend von der Zielgruppe ab. Viele haben die Erfahrung gemacht, dass das Publikum von Wissenschaftspodcasts sowieso anspruchsvoll ist und die Zuhörer*innen gezielt nach Inhalten suchen, die sie in anderen Medien in dieser Tiefe nicht finden. Komplexität bietet dann möglicherweise sogar den entscheidenden Mehrwert des Podcasts und einen Anreiz, mehr von dem Thema verstehen zu wollen. Das zu erreichen, ist aber manchmal eine Gratwanderung: Wieviel Komplexität darf und muss es sein, damit die Zuhörer*innen aus der Komfortzone herauskommen, aber nicht abgehängt werden?

Tipps für bessere Zugänglichkeit
Das beginnt häufig schon gleich am Anfang einer Episode: So ist es wichtig, die Zuhörer*innen abzuholen. „Superscience Me“ nutzt dafür z.B. gerne einen Einstieg mit Alltagsmythen, die vermutlich jeder schonmal gehört hat. In einem Gesprächsformat kann das auch für Wissenschaftler*innen hilfreich sein, um das Thema zu fokussieren. Die „Evidenz-Geschichten“ verpacken die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu medizinischen Forschungsmethoden in Geschichten und versuchen, die Zuhörer*innen mit Mitteln des Storytelling in den Podcast hineinzuziehen.

Gleich am Anfang zu erklären, worum es geht, was also der Kern des Themas ist, erleichtert die Orientierung. Auch im weiteren Verlauf der Episode kann es helfen, immer wieder daran anzuknüpfen: Warum ist dieser Aspekt jetzt wichtig? Und wie hängt er mit dem Gesamt-Thema zusammen? Zusammenfassungen zwischendrin und am Ende helfen, dass die Zuhörer*innen den „roten Faden“ leichter erkennen.

Bei sehr komplexen Fragen in Gesprächsformaten ist es gut, an den kniffligen Stellen einfach nochmal beim Gast nachzufragen und ihn/sie um weitere Erklärungen zu bitten. Wenn Wissenschaftler*innen nicht so geübt sind, verständlich zu formulieren, können die Hosts in die Bresche springen: „Könnte man das vielleicht auch so ausdrücken:…?“

Hat es funktioniert?
Kurz haben wir auch über die Frage gesprochen, wie man eigentlich herausfinden kann, ob diese Maßnahmen tatsächlich erfolgreich waren. Möglichkeiten für die Evaluation wären beispielsweise, sich alte Episoden mit etwas Abstand noch einmal anzuhören und dabei genau auf diese Aspekte zu achten. Oder vielleicht gibt es ja auch einen/eine andere/n Podcaster*in, die Lust hat, zu diesen Fragen Feedback zu geben.

Dieser Beitrag erscheint zeitgleich auch auf der Seite wissenschaftspodcasts.de. Es lohnt sich auch, dort vorbeizuschauen, um evtl. Kommentare und weitere Berichte nicht zu verpassen.

Von der #ganzohr2018: Wissenschaftspodcasts zwischen Zugänglichkeit und Komplexität
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