Dass bei die Welt bei den medizinischen Fachzeitschriften alles andere als in Ordnung ist, ist kein Geheimnis. Nur selten hat man jedoch die Gelegenheit, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Den bietet die Autobiografie von Jerome Kassirer, dem ehemaligen Editor in Chief des New England Journal of Medicine (NEJM).
„Unanticipated Outcomes: A Medical Memoir“ ist dabei auf mehreren Ebenen spannend: Es erzählt die Geschichte eines „underdogs“, der es nach vielen Rückschlägen schließlich schafft, Medizin zu studieren und Arzt zu werden, der eine große Leidenschaft mitbringt und Interesse an seinen Patienten.
Noch interessanter ist jedoch der Teil, in dem er von seinen Erlebnissen beim NEJM in den Jahren 1991 bis 1999 berichtet: Beeindruckend ist seine Weitsicht, nicht nur nützliche Themen für den klinischen Alltag aufzunehmen, sondern auch diejenigen, die für gute Medizin notwendig sind, die Reflexion über das ärztliche Handeln anregen und oft ihrer Zeit voraus sind. Auch das Thema Interessenkonflikte wurde in Kassirers Zeit kritisch bedacht mit dem Resultat, dass Editorials und Meinungsartikel sowie Übersichtsarbeiten nicht mehr von Autoren mit finanziellen Verbindungen verfasst werden durften – ein Grundsatz, der übrigens nach Kassirers Weggang aufgeweicht wurde.
Bedrückend ist schließlich der Teil über die finanziellen Interessenkonflikte des Journals selbst: Die medizinische Fachgesellschaft und der Verlag, zu dem das NEJM gehört, bestand darauf, unter der Dachmarke „NEJM“ noch weitere Zeitschriften und andere Aktivitäten zu plazieren, die den strengen Qualitätsansprüchen von Kassierer nicht genügten. Es folgte eine erbitterte Diskussion und schließlich kam es, wie es kommen musste: Kassirer verlor seinen Job.
Fazit: Unbedingt lesen. Trotz einiger Längen liest sich das Buch sehr spannend und gibt viel Stoff zum Nachdenken. In Europa ist es etwas schwierig, an ein Print-Exemplar zu kommen, aber es gibt auch eine E-Book-Variante, leider nur für Kindle.