Im aktuellen Ärzteblatt gibt es einen Beitrag, der sich mit Nutzen und Risiken von beschleunigten Zulassungen beschäftigt. Als Experten werden dabei der Präsident des BfArM, Karl Broich, sowie für das IQWiG Stefan Lange befragt. Beide Interviews sind in der Langfassung online veröffentlicht.
Besonders die Argumente von Stefan Lange sind bedenkenswert. Er warnt – wie ich finde zu Recht – vor dem Problem, dass wir bei beschleunigten Zulassungen oft nur ein sehr begrenztes Wissen zu Nutzen und Risiken haben. Und dass die Daten, die nach der Zulassung generiert werden, oft nicht die Ansprüche erfüllen, die wir aus guten Gründen an Wirksamkeitsnachweise stellen (Stichwort: „real world data“ = meist aus Beobachtungsstudien).
Gar kein Problem?
Wie sich der Präsident des BfArM, quasi Deutschlands oberster Hüter für die Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln, äußert, finde ich dagegen mehr als bedenklich. Der Tenor seiner Antwort: Alles kein Problem, wir haben das im Griff.
Machen wir doch mal den Faktencheck. Das Ärzteblatt fragt: „Die Kritiker bemängeln, dass Pharmaunternehmen Auflagen nur zögerlich oder gar nicht erfüllen.“ Broich antwortet darauf: „Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt zwar den ein oder anderen Ausreißer. Aber im Großen und Ganzen werden die Auflagen erfüllt, die meisten sogar vor den festgelegten Zeiträumen.“
Bedenken aus US-Daten
Daten aus den USA legen aber ganz andere Schlussfolgerungen nahe: Nämlich dass es sehr lange dauert, bis Ergebnisse aus so genannten Postmarketingstudien vorliegen und die Hersteller dabei nicht selten die gesetzten Fristen überziehen – meist ohne Konsequenzen. Veröffentlicht wurden entsprechende Untersuchungen beispielsweise 2017 im NEJM oder im gleichen Jahr in JAMA – auf diese Studie verlinkt das Ärzteblatt sogar selbst. Auch kommen die Ergebnisse der Postmarketing-Studien oft nur tröpfchenweise in der Fachwelt an, wenn überhaupt, wie eine Analyse im BMJ aus 2018 belegt. Damit setzt sich ein Muster fort, das bereits 2013 in JAMA beschrieben wurde.
Und Europa?
Gibt es entsprechende Daten für die EU? Eine schnelle Suche in PubMed („postmarketing EMA“) hat keinen Treffer erbracht. Auch die oben zitierten Beiträge referenzieren nicht auf ähnliche Untersuchungen mit europäischen Daten. Die EMA selbst hat 2017 einen Bericht über bedingte Zulassungen („conditional approvals“) veröffentlicht.
Zwischen 2006 und 2016 haben danach 30 Arzneimittel eine bedingte Zulassung erhalten. Für 11 wurde die bedingte Zulassung in diesem Zeitraum in eine Standardzulassung umgewandelt – das dauerte im Mittel gut vier Jahre. Die Spanne reicht dabei von rund 6 Monaten bis 7 Jahre. Zur Erinnerung: Das ist der Zeitraum, in dem die betreffenden Mittel ohne ausreichende Kenntnisse zu Nutzen und Risiken in der Versorgung angewendet werden.
Mit der Pünktlichkeit der Hersteller gibt sich die EMA zufrieden. Dazu wertet sie die 57 bisher eingereichten Auflagen aus: Außer in vier Fällen waren die zum vereinbarten Termin oder sogar früher erfüllt worden.
Für die restlichen 19 bedingten Zulassungen hatten die Hersteller zum Zeitpunkt der Berichtserstellung noch keine Daten vorgelegt, die eine Umwandlung der Zulassung gerechtfertigt hätten. Die EMA weist darauf hin, dass für keins dieser Arzneimittel seit dem Zeitpunkt der Zulassung mehr als fünf Jahre vergangen seien.
Ist damit in Europa alles besser, wie Broich meint? Das lässt sich mit den EMA-Daten nicht zweifelsfrei belegen. Denn die Stichprobe ist bisher deutlich kleiner als die in den USA, wo es deutlich mehr Wege zu einer schnelleren Zulassung gibt als bisher in der EU.
Kein Freibrief
Aus den bisherigen Daten eine Freibrief für die Adaptive Pathways abzuleiten, scheint mir doch ziemlich vermessen – zumal wir noch nicht betrachtet haben, ob z.B. die beauflagten Studien überhaupt in der Lage sind, die Erkenntnislücke zum Zeitpunkt der Zulassung nachhaltig zu schließen. Ein Kommentar im BMJ zum EMA-Report bezweifelt das. Hinzu kommt, dass die 2016 vorgelegte Analyse zum Pilotprojekt der Adaptive Pathways mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet.
Ob die Zulassungsbehörden also tatsächlich alles im Griff haben, wie der BfArM-Präsident überzeugt ist, bleibt damit offen.