Zugegeben, die Idee klingt schon verlockend: Medikamente zügiger verfügbar zu machen, damit Patienten früher profitieren können. So versucht die EMA, ihr Konzept der „adaptive pathways“ (auch „progressive“ oder „gestaffelte“ Zulassung) schmackhaft zu machen. Was versteckt sich dahinter? Kurz gesagt sollen Arzneimittel bereits früher in der klinischen Entwicklung auf den Markt kommen als bisher. Zunächst soll das Anwendungsgebiet eng umgrenzt sein und die Zulassung nur unter Auflagen erteilt werden. Wenn dann mehr Erfahrungswerte aus der praktischen Anwendung und weiteren Studien vorliegen, kann die Zulassung schrittweise erweitert werden.
Der Plan hat nur einen Haken: Er verkennt, dass die Erkenntnissicherheit aus „real world data“ (sprich: Beobachtungsstudien) zwangsläufig niedriger liegen muss als aus den Zulassungsstudien, bei denen es sich in der Regel um randomisierte kontrollierte Studien kommt. Das betrifft sowohl Daten zu Nutzen, aber auch zu möglichen Risiken. Wird das neue Konzept umgesetzt, sinkt also zwangsläufig das Wissen und damit die Patientensicherheit. Dass bereits mit dem herkömmlichen Verfahren zum Zeitpunkt der Zulassung noch viele Fragen offen sind, zeigen etwa die frühen Nutzenbewertungen des IQWiG, die häufig zu der Feststellung kommen: „Ein Zusatznutzen kann nicht festgestellt werden, da keine ausreichenden Daten vorliegen“. Werden künftig häufiger die „adaptive pathways“ beschritten, ist zu befürchten, dass sich die Situation noch mehr verschärft.
Kein Wunder also, dass die „adaptive pathways“ stark umstritten sind und sehr kritisch diskutiert werden. Ausführlich kann man die Argumente etwa in einem Statement des Deutschen Netzwerkw Evidenzbasierte Medizin nachlesen (Disclaimer: An dem Statement war ich als Mitautorin beteiligt) oder in Beiträgen im Pharmabrief (z.B. in den Ausgaben 8-9/2015 und 3/2016. Auch im BMJ (nur für Abonnenten) und in Gute Pillen-Schlechte Pillen (freier Zugang) sind jüngst kritische Artikel zum Thema erschienen.
Das IQWiG hat der Problematik von „Real world data“ sein letztes Herbstsymposium gewidmet, ausführliche Beiträge sind in einem Sonderheft der ZEFQ veröffentlicht (open access!). Eine Stellungnahme des IQWiG gibt es auch zum Bericht über die Pilotphase, die die EMA Anfang August veröffentlicht hat.
Besorgnis besteht vor allem auch über die Rolle der EMA, die ja eigentlich die Aufgabe hat, Patienten zu schützen. Wenn es aber wahrscheinlich ist, dass „adaptive pathways“ den Patienten nicht nützen, aber vermutlich schaden, wer profitiert dann von den Regelungen? Einen begründeten Verdacht äußert der BMJ-Artikel bereits in der Überschrift:
“Adaptive pathways” to drug authorisation: adapting to industry?